Zu teuer und auch noch schlecht?

Zu teuer und auch noch schlecht?
von

Andreas Chvatal

 

„Internationale Vergleichsstudien belegen es. Österreich leistet sich eines der teuersten Schulsysteme der Welt. Dieses bringt jedoch nur unterdurchschnittliche Leistungen hervor.“ So steht es immer wieder geschrieben und wird unhinterfragt geglaubt. Aber, stimmt es auch?

Mit den internationalen Vergleichsstudien sind wohl ‚Bildung auf einen Blick’ (Kostenfrage) und PISA (Nachweis der mangelnden Leistungen) gemeint. Wenden wir uns zunächst den Kosten zu. Die Tabelle B1.1a von ‚Bildung auf einen Blick 2013’ (BeaB) vergleicht die Prokopfkosten pro SchülerIn im Jahr 2010, in US Dollar und kaufkraftbereinigt.  Die Werte für Österreich sind 10 244 Dollar für den Primarbereich und 12 511 Dollar für die Sekundarstufen I und II. Das sind tatsächlich die Plätze 5 bzw. 4 im Teuersein des Schulsystems. Damit wäre angeblich alles klar. Studie zu!

Schön langsam! Wer sich ein wenig eingehender mit dem betreffenden Kapitel von BaeB (Indikator B1, Seite 197 ff) beschäftigt, stößt auf nicht ganz unwichtige Zusatzinformationen. So etwa auf die Definition dessen, worauf sich die beiden obigen Werte beziehen:
„Eigentliche Bildungsdienstleistungen stehen in direktem Zusammenhang mit Unterricht und Bildung an Bildungseinrichtungen. Hierzu gehören die Vergütungen der Lehrkräfte, der Bau und die Instandhaltung von Schulgebäuden, Unterrichtsmaterial, Bücher und die Verwaltung der Schulen.“   

Das heißt, in den 10 244 bzw. den 12 511 Dollar sind u. A. die Kosten für Schulbauten(!) eingerechnet.

Das Budget des österreichischen Unterrichtsministeriums im Jahr 2010 belief sich auf knappe 8 Mrd Euro, die zu 90% für die Gehälter der Lehrkräfte aufgewendet werden mussten. Im Schuljahr 2010/11 gab es 327 602 Volksschulkinder und 802 200 SchülerInnen in den Sekundarstufen I und II.  Aufgrund der Prokopfwerte aus der Tabelle B1.1a ergibt sich damit eine Gesamtsumme von 13,4 Mrd US Dollar. Bei der Umrechnung von Euro in Dollar wurde die Kaufkraftparität mit Faktor 0,845 berücksichtigt.  Die 13,4 Mrd Dollar entsprachen somit 11,3 Mrd Euro. Das heißt, die Werte für Österreich in der Tabelle B1.1a beinhalten 3,3 Mrd Euro, die nicht im österreichischen Unterrichtsbudget des Jahres 2010 vorhanden waren. 

In den angegebenen Werten sind somit zwei Kostenfaktoren zusammengefasst, die nicht das Geringste miteinander zu tun haben, nämlich die Gehälter der Lehrkräfte und die Baukosten für Schulgebäude. Wozu das gut sein soll, weiß nur die OECD. Die Aussagekraft der Tabelle leidet jedenfalls erheblich. Beispiel: Land A und Land B haben etwa gleich hohe Kosten für die LehrerInnen. Land A lässt seine Schulgebäude verfallen, während Land B sich entschließt, seine Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Land A steht in der Tabelle wegen seiner „Sparsamkeit“ gut da, Land B muss sich – vielleicht - den Vorwurf gefallen lassen, eines der teuersten Schulsysteme der Welt zu haben. Unklarheiten wie diese, wären leicht hintanzuhalten, indem eine Tabelle mit Kosten für Lehrkräfte und eine für andere Kosten erstellt wird.

Aufgrund dieser Zahlen zu behaupten, das österreichische Schulsystem wäre im Vergleich zu anderen teuer, erscheint einigermaßen gewagt.

Ein weiteres Beispiel für unseriöse Argumentation mit den Zahlen aus BaeB, ist die Behauptung, die österreichischen Lehrkräfte wären im internationalen Vergleich SpitzenverdienerInnen. Dabei wird auschließlich auf die Tabelle D3.1 Bezug genommen, deren Aussagekraft offensichtlich sehr gering ist.  Der Vergleich von Gehältern zu Beginn der Berufslaufbahn, nach zehn und fünfzehn Jahren und des Höchstgehalts ist praktisch sinnlos, da die Gehaltssysteme extrem unterschiedlich sind. Wirklich vergleichbar wäre nur eine Aufstellung aller Gehaltsstufen über eine durchschnittliche Karrieredauer. Bezeichnend ist, dass die in dieser Hinsicht viel aufschlussreicheren Tabellen (B7.2a, B7.2b) einfach ignoriert werden.  Sie vergleichen die durchschnittlichen Prokopfgehälter der Lehrkräfte pro Jahr. Diese sind in 15 (VS) bzw. 13 (Sek. I) Ländern höher als in Österreich.

Die oft aufgestellte Behauptung, Österreichs Schulsystem würde vergleichsweise hohe Kosten verursachen, basiert also sozusagen auf tönernen Zahlen. Wie sieht es mit dem zweiten angeblich unzweifelhaftem Befund aus, demzufolge die Leistungen von Österreichs SchülerInnen im Durchschnitt zwischen schlecht und katastrophal rangieren? Die PISA Studie liefert dazu aufwendig erhobenes Datenmaterial, welches fast völlig unbeachtet bleibt. Die einzige Ausnahme in dieser Hinsicht stellen die Rankings der drei Testgebiete Mathe, Lesen und Naturwissenschaften dar. Diese sind von einer gefälligen Übersichtlichkeit und repräsentieren eine klare, wenn auch ein wenig simple, Logik. Nämlich, Platz 1 ist sehr gut und der letzte Platz ist sehr schlecht. Die Plätze 2 bis Vorletzter sind dementsprechend ein bisschen weniger sehr gut und ein bisschen weniger sehr schlecht. Immerhin, die Tabellenmitte wird als durchschnittlich akzeptiert und dort liegt Österreich. In Mathe 18. In Lesen 26. In Naturwissenschaften 24. von jeweils 65 Startern. Also bis auf Mathe höchstens mittelprächtig! Das ist ja wohl eindeutig! Studie zu!

Die Frage, wie mittelprächtig diese Ränge sind, wird völlig ausgeblendet. Kein Wunder, ihre Beantwortung bringt ein gänzlich anderes PISA Bild zum Vorschein. Am eindrucksvollsten ist die Umlegung der PISA Rankings auf Schularbeitsnoten.  Österreich hätte in allen drei PISA „Gegenständen“ eine sichere Zwei und ist damit in bester Gesellschaft von mindestens 30 der 65 Teilnehmerländer. In Mathe und Naturwissenschaft erreichten unsere getesteten SchülerInnen durchschnittlich 84,3 % der 600 Maximalpunkte, in Lesen nur 81,6%. Wenn dies mittelprächtig ist, dann ausschließlich deshalb, weil immer etwa die Hälfte aller Teilnehmerländer nur minimal besser oder schlechter ist. Ob diese Ergebnisse den Kosten, die - wenn überhaupt – in BaeB nur in sehr fragwürdiger Weise definiert sind, unproportional gegenüberstehen, ist wohl ausschließlich eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Gesichert scheint hingegen, dass es sich bei einem Erreichen von mindestens 81,6% des Maximalwerts nicht um die „Bildungskatastrophe“ handeln kann, als die das Ergebnis so gerne beweint wird.

Der größte Verdienst der PISA Studie ist ja wohl, dass mehr und mehr die Erkenntnis reift, dass jene Länder, deren Getestete an das Punktemaximum herankommen, dies durch die Ausübung von kompromisslosem Leistungsdruck erreichen. Schulsysteme wie jene der chinesichen Teilnehmer, Südkoreas oder Japans können kein Ziel einer aufgeschlossenen Gesellschaft sein, auch wenn sie bei PISA von Sieg zu Sieg eilen.

Glücklicherweise ist es in einer Vielzahl von PISA–Teilnehmerländern Brauch, sich dem Thema Bildung auf humane Art und Weise zu nähern. Denken wir nur an den, zuletzt teilweise entthronten, PISA Europameister Finnland. „Kein Kind wird zurückgelassen!“, ist das Motto der finnischen Bildungspolitik und trotzdem schaffen ihre SchülerInnen bei PISA die besten Ergebnisse nach den asiatischen Teilnehmern. Vielleicht hat das ja damit zu tun, dass in Finnland ein Gesamtschulsystem richtig konzipiert und verwirklicht wurde. Diese Gefahr besteht in Österreich nicht. Erstens gibt es hierzuland kaum jemand, der weiß, was eine gut konzipierte Gesamtschule überhaupt sein könnte und – zweitens - ist die einzige politische Konstellation, in der die Einführung einer Gesamtschule halbwegs realistisch wäre, nämlich eine grün-rote Alleinregierung, nicht gerade in Sicht.

Allerdings ist damit das österreichische „PISA-Versagen“ hinreichend erklärt. Die gymnasialen Spitzenleistungen werden durch die pflichtschulimmanente Risikogruppe (letzte Kompetenzstufe und darunter) gnadenlos wegkompensiert. Das Resultat: Rückstände auf Finnland im Bereich von – aufgepasst - 7,7% (Lesen) bis 2,7% (Mathe). Mit anderen Worten, Österreich erreicht zwischen 92,3 und 97,3% der finnischen Leistungen.
 
Natürlich besteht nicht der geringste Zweifel, dass sich umgehend einE TeilnehmerIn der sogenannten österreichisch Bildungsdiskussion finden wird, die/der bereit ist, auch das Erreichen von 92,3% des finnischen Wertes zur Katastrophe zu erklären. Darüber, ob dies sinnvoll ist, muss sich jede und jeder selbst ein Bild machen. Die hier angeführten Zahlen können vielleicht dazu beitragen, dass sich bezüglich PISA realistische Einschätzungen durchsetzen.

Hinsichtlich des Kostenvergleichs der Schulsysteme ist dies leider nicht möglich, da keine wirklich aussagekräftige Daten existieren, jedenfalls nicht in BaeB. Deshalb sind diesbezügliche Einschätzungen wohl vor allem genau das: Schätzungen. Vielleicht stimmt es ja, dass das österreichische Schulsystem eines der teuersten ist, aber wer kann das schon wissen? Keinesfalls die OECD.

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Die Frage, ob die PISA Ergebnisse wirklich der Weisheit letzter Schluss in Sachen Systemvergleich sind, kann hier nur erwähnt werden. Ebenso die Tatsache, dass PISA eine Vielzahl von Aspekten nicht erfassen kann und wahrscheinlich gar nicht erfassen will. So kommen künstlerische und soziale Bildungsziele bei PISA nicht vor.

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Sollten die obigen Berechnungen fehlerhaft sein, wäre ich für Korrekturen sehr dankbar.

[1] BaeB S 216

[2] BaeB S 212

[3] Statistik Austria: schülerinnen und schüler an öffentlichen und privaten schulen 1923/24 bis 2012/13.

[4] BaeB, S 211, S 511

 

[5]  BaeB S 480, 481

[6]  BaeB S 308 und 310

[7] Notenschlüssel für PISA: Einser 600 bis 525 Punkte, Zweier 524 bis 450, Dreier 449 bis 375, Vierer 374 bis 301. In der ganzen Studie gibt es keinen Fünfer und Vierer sind absolute Mangelware.

[8] Punktewerte: Mathe: Fin – 519, Ö – 506; Lesen: Fin - 524, Ö – 490;  Naturwissenschaft: Fin - 545, Ö – 506; Erreichbares Punktemaximum ist 600.

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